Nähen, schneidern, upgraden ...

Ein paar Worte zu nähen, schneidern und upgraden aus meiner Sicht.

Meine Mama hat noch aus der Not heraus geschneidert, aber dennoch mit viel Liebe, Fleiß und Genauigkeit. Die Art sich zu kleiden war damals ganz anders, es gab Sachen "für zu Hause", Sachen für "alle Tage" und Kleidung "für schön" und die trug man interessanterweise an Sonn- und Feiertagen. Grundsätzlich musste Bekleidung sorgfältig geschneidert sein, perfekt sitzen, Mode war ernst und zweckmäßig. 

Altes wurde fein säuberlich aufgetrennt, dann alle Fäden entfernt, die Teile danach gebügelt, Schnitte aufgelegt, neu zugeschnitten und neu genäht wobei es vorher natürlich "geschlupferlt" wurde um den Schnittverlauf am Stoff zu markieren und vor dem Zusammennähen von Hand geheftet. Anfangs arbeitete meine Mama noch auf einer alten mechanischen "Rast & Gasser" Nähmaschine, die wunderschön bemalt war und nur Geradstich konnte. Entsprechend aufwändig war die weitere Verarbeitung, versäubern, Knopflöcher etc. wurden von Hand gemacht. So habe ich es von ihr gelernt. Basis waren für sie (und auch für mich noch lange Zeit danach) die damals erhältlichen Modehefte "Burda" und "Neue Mode". Erstere dient mir noch immer - neben anderen - als Inspirationsquelle, letztere erscheint schon sehr lange nicht mehr.

(Foto: meine Schwester Charlotte in den 60ern mit einem schwarzen Etuikleid und einem zusätzlichen Tüllrock darüber ... ich kann mich noch ganz genau daran erinnern wie meine Mama das genäht hat).

 

(Video-Empfehlung: "Kleider machen Deutsche" (Teil 1 und 2) 

 

Mein erstes Erstaunen kam in meiner Zeit in der "Meisterklasse für Konfektion", wo natürlich weder "geschlupferlt" noch "geheftet", sondern ganz einfach exakt mit Nahtzugaben gearbeitet wurde. Auch damals war es allerdings noch üblich und wichtig, exakte Schnitte zu erstellen, nach denen dann ebenso exakt gearbeitet wurde (was bei Konfektion natürlich nachvollziehbar ist ...).

 

Heute arbeite ich ganz anders. Schnitte verwende ich kaum (zu faul), Neues zu nähen habe ich aufgegeben (es gibt eh so viel zu kaufen), aber Altes, Vorhandenes wird manchmal teilweise, manchmal zur Gänze aufgetrennt, auf der Schneiderpuppe drapiert, gesteckt, zugeschnitten etc. und dann wird genäht und gestickt. Manchmal mit der Maschine, manchmal mit der Hand. Klar, ich brauche nicht daran zu denken, dass später eine Serie davon erstellt werden müsste, dass ein Fließband mit Arbeitsabläufen eingerichtet werden muss, ich brauche nicht zu berücksichtigen ob die Arbeit wirtschaftlich vertretbar ist oder nicht. 

Aber es hat sich auch viel geändert in der Mode. Es wäre früher unmöglich gewesen, dass etwas nicht versäubert ist, während unversäuberte Kanten heute ganz bewusst eingesetzt werden. Gebrauchsspuren auf Kleidung waren nicht gern gesehen, heute werden diese oft aufwändig nachvollzogen (siehe "Used Look Jeans"). Und bei Größen von S/M bis L/XL ist man von perfektem Sitz weit entfernt - dieser ist zumeist auch gar nicht erwünscht.

 
Also - manchmal packt mich noch das schlechte Gewissen, weil ich von der Arbeit meiner Mutter und Großmutter so weit entfernt bin. Aber irgendwann habe ich bemerkt, dass ich nicht in der Lage bin, nach Anleitungen und Vorgaben zu arbeiten (weil´s mir keinen Spaß macht). Ich habe keine Geduld für große Vorhaben und will schnelle Erfolge (wer nicht ...) und ich will Sachen, die angenehm und bequem sind und nicht exakt sitzen müssen (außer bei Jeans - die müssen angenehm und bequem sein und exakt sitzen). Stickereien mache ich ohne vorzeichnen, ganz nach Stimmung, und natürlich sind sie nicht so präzise wie die von mir bewunderten Rumänischen Blusen oder andere traditionelle Handarbeiten. Aber sie sind meine, einzigartig und nicht nachvollziehbar. Vielleicht ist das ja sogar etwas Erstrebenswertes?